Jürgen
Trittin: Welt um Welt
Aufbau Verlag Berlin 2002
205 Seiten
in Junge Welt
vom 10.08.2002 |
|
 |
Erdrückt
Trittins Ökoanalyse kennt keinen Umweltminister
von Thomas Günther
Mit der Debatte um die private Nutzung von Bonusmeilen durch Bundestagsabgeordnete
ist der Begriff Moral wieder in der politischen Auseinandersetzung aufgetaucht.
Dabei erregt es keine Aufmerksamkeit, daß die meisten Bundestagsabgeordneten
zu den Vielfliegern gehören. Es geht lediglich um die Aneignung von
Steuergeldern, nicht jedoch um Aneignung bzw. exorbitante Nutzung natürlicher
Ressourcen. Anders ist dies im Buch »Welt Um Welt« von Jürgen
Trittin. »Der Flugverkehr, von der Urlaubsreise über Geschäftsreise
bis zur Luftfracht, hat rapide zugenommen - die Kosten dagegen haben abgenommen«,
schreibt er und schildert die ökologischen Folgen dieser Entwicklung,
auch anhand der Situation der Eisbären im Zusammenhang mit der Erderwärmung
oder der naturzerstörenden Wirkung der Massenproduktion von Shrimps.
Im Kern der Problemfelder erkennt Trittin die Kapitalrendite als »einziges
Erfolgskriterium«. Dem soll eine ökologische Langfristorientierung
gegenübergestellt werden. Trittin leitet den Handlungsdruck davon
ab, daß die Wirtschaftsweise des Nordens angesichts der ökologischen
Ressourcen nicht global tragfähig ist. Der derzeitige Lebensstil
des Nordens kann - aufgrund der Grenzen des Ökosystems - nicht globalisiert
werden. An dieser Entwicklungsform orientieren sich die Länder des
Südens. Deswegen ist im Norden, der als fehlentwickelt beschrieben
wird, eine grundsätzlich neue Zielausrichtung notwendig: ein »Ökosozialprodukt«
statt eines Bruttosozialprodukts.
Die Lösung der phänomenologisch beschriebenen Gesamtproblematik
sieht Trittin in einer verstärkten globalen Regulation nach ökologischen
Gesichtspunkten. Ein Instrument in der umfassenden Internalisierung von
ökologischen und sozialen Kosten: eine »Ökoeffizienz«
soll angestrebt werden, z. B. im Flugverkehr. Konkrete Beispiele für
Regulationen wären die Einführung »absoluter Obergrenzen
für den Verbrauch endlicher Ressourcen« oder die Tobinsteuer,
die er für sinnvoll erachtet.
Entsprechend dieser Forderungen möchte Trittin die »Dominanz
von G8, IWF und WTO« einschränken und dafür die Kompetenzen
der UN-Organisationen ausweiten. Die Vereinten Nationen sind der Rahmen,
in dem eine ökologische Zieldefinition weltweit durchgesetzt werden
kann. Kritische Einwände zum Rio+10-Prozeß wie den von Kofi
Annan, der immerhin von Rückschritten schrieb, blendet Trittin aus.
Ambivalent bleibt auch die Rolle der EU. Zum einen wird sie als Möglichkeit
betrachtet, europäischen Umweltinteressen international Gewicht zu
verleihen, zum anderen sind die Subventionen (vor allem im Agrarbereich)
auch ein Grund für die weltweite soziale und ökologische Ungerechtigkeit.
Trittin weiß, daß »internationale Konzerne auf nationale
Regierungen erheblichen Druck ausüben« können. Leider
bleibt offen, was dies für die vergangenen vier Jahre als Umweltminister
bedeutete. So bleiben die Akteure schematisch und fast schon steril. Der
Prozeß der Veränderung ist in dieser Publikation kaum an eine
Betrachtung von politischen Kräfteverhältnissen gekoppelt.
|